29. Mai 2020 | Dave Bookless | 0 Kommentare

Sollten wir gefährdete Arten retten?

Nützlich oder nutzlos?

In einem kürzlich erschienenen Artikel in der Washington Post argumentiert der Biologieprofessor R. Alexander Pyron: „Der einzige Grund, warum wir die biologische Vielfalt erhalten sollten, ist für uns selbst, um eine stabile Zukunft für den Menschen zu schaffen.“ Er klagt die Ressourcen an, die für die Rettung von bedrohten Arten investiert werden, und akzeptiert, dass bis zu 40 % der Arten bald durch menschliches Handeln verschwinden könnten, kontert aber, dass „sowohl der Planet als auch die Menschheit wahrscheinlich in einer Welt mit weniger Arten überleben oder sogar gedeihen können“.

Togo Slippery Frog Conraua derooi, eine vom Aussterben bedrohte Art aus dem Atewa Wald in Ghana. © Foto von Dr.  Jeremy Lindsell  / A Rocha International.

Togo Slippery Frog Conraua derooi, eine vom Aussterben bedrohte Art aus dem Atewa Wald in Ghana. © Foto von Dr. Jeremy Lindsell / A Rocha International.

Pyron ist damit nicht allein. Seine Ansichten sind in einem Spektrum mit dem unterschiedlichen Titel „neuer Naturschutz“[1] und „Ökomoderne“ enthalten [2], die scheinbar wissenschaftliche und humanitäre Sprache verwenden, um zu behaupten, dass wir uns dadurch nicht beunruhigen lassen sollten, weil das Aussterben ein unvermeidlicher Teil des evolutionären Fortschritts ist, und dass die Menschheit die Natur neu gestalten kann, um ein „gutes Anthropozän“ zu schaffen – eine Welt, die den Bedürfnissen aller Menschen dient, ohne Rücksicht auf die biologische Integrität. Es gibt viele Gründe, warum dieser Ansatz zutiefst in die Irre führt, und sie lassen sich weitgehend in zwei Kategorien einteilen: wissenschaftliche und wirtschaftliche Beweise und philosophische Verwirrung.

Was die Wissenschaft sagt

Wissenschaftlich gesehen gibt es überwältigende Beweise dafür, dass ein schnelles Aussterben von Arten zum Zusammenbruch des Ökosystems führt. Michael Soulé schreibt: „Die beste aktuelle Forschung unterstreicht den Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und der Stabilität von Ökosystemen.“ [3] Wenn wir stabile, produktive Ökosysteme wollen, brauchen wir genetische Vielfalt und Artenvielfalt. Die Tatsache, dass schon immer zum Aussterben von Arten gekommen ist, ist ein gefährliches Argument. Die heutige Aussterberate wird unterschiedlich auf 100 bis 10.000 Mal schneller bewertet, als dies unter normalen Bedingungen der Fall wäre. [4,5] Das Aussterben von Arten geschieht heute zu schnell, als dass es durch die evolutionäre Neuentstehung von Arten kompensiert werden könnte. Es ist nicht natürlich, sondern das Ergebnis des maßlosen Einflusses einer Art auf alle anderen Arten. [6] Auf unserem sorglosen Weg in Richtung eines massenhaften Aussterbens von Arten sägen wir fröhlich Zweige vom Baum des Lebens ab, auf dem wir selbst sitzen, während Landwirtschaft und Fischerei zusammenbrechen, Ökosystemleistungen instabil und dezimiert werden und noch unbekannte medizinische Möglichkeiten verloren gehen.

In ähnlicher Weise ist der Glaube, dass wir durch die Einführung oder sogar Veränderung einiger „nützlicher“ gebietsfremder Pflanzen- und Tierarten Ökosysteme umgestalten können, in E. O. Wilsons denkwürdigen Worten „das ökologische Äquivalent des russischen Roulettes“[7] – die Risiken sind enorm und die Folgen könnten tödlich sein.

Ewiges Wachstum

Ebenso ist die Behauptung, dass ein rasches Wirtschaftswachstum die Menschen aus alltäglichen Sorgen befreien wird und in ihnen Liebe für die übriggebliebene erhaltene Artenvielfalt wecken wird, absurd und widerspricht allen Beweisen. Das Konsumwachstum hat sich selbst in wohlhabenden Gesellschaften unvermindert fortgesetzt und ist der größte Treiber für den Klimawandel, den Verlust von Lebensräumen und letztlich für den Verlust der Artenvielfalt. [8,9]

Doch der fehlerhaften Wissenschaft und Ökonomie Pyrons und anderer liegen einige verborgene und fragwürdige philosophischen Annahmen zu Grunde. „Moderner Naturschutz“ und „Ökomoderne“ proklamieren einen extremen Anthropozentrismus [10], der in die Fußstapfen von Francis Bacon (1561–1626) tritt. Bacon schrieb von seinem „einzigen irdischen Wunsch, nämlich die beklagenswert engen Grenzen der Herrschaft des Menschen über das Universum bis zu ihren verheißenen Grenzen auszudehnen.“ [11] Während Bacon an Gott glaubte, verwies er ihn in eine weit entfernte, geistliche Domäne und öffnete die Tür zur säkularen Objektivierung der Natur, was sie zu einem bloßen Objekt der Ausbeutung für Menschen machte.

Wer steht im Zentrum?

Das Herzstück von Bacon, Pyron und anderen ist der Glaube, dass die Menschheit erstens die einzige Spezies ist, die zählt, und zweitens nicht nur die kreative technologische Fähigkeit, sondern auch den moralischen Willen besitzt, alle ihre eigenen Probleme zu lösen. Dies ist ein glaubensbasierter Standpunkt, der weder in der Wissenschaft noch in der Logik verwurzelt ist. Es ist der neoreligiöse Mythos des menschlichen Fortschritts, ein Mythos, der zutiefst mitschuldig an den unhaltbaren wirtschaftlichen und ökologischen Katastrophen ist, mit denen unsere Erde heute konfrontiert ist.

Es gibt hier eine tiefe Ironie, weil dem Christentum oft vorgeworfen wurde, eine menschenzentrierte Weltanschauung zu fördern, [12] während es heute säkulare Techno-Optimisten sind, die diese Ansicht am vehementesten vertreten. Heute entdecken viele Christen für sich wieder ein biblisches Verständnis der menschlichen Rolle als eine der Demut und des Dienstes. Die päpstliche Enzyklika ‚Laudato Si‘ bestätigt, dass Arten „Wert in sich selbst haben“ und „Gott durch ihre Existenz Ehre geben“[13] und gibt klare Gründe für den Erhalt gefährdeter Arten: „Weil alle Geschöpfe miteinander verbunden sind, muss jedes mit Liebe und Respekt geschätzt werden, denn wir alle sind als Lebewesen voneinander abhängig.“ [14]

Lobpreis der Geschöpfe

Papst Franziskus bringt erneut die biblische Erkenntnis zum Ausdruck, dass Gott „Erbarmen mit allem hat, was er gemacht hat“[15], dass Menschen, die als Abbild Gottes geschaffen wurden, Gottes großzügigen Charakter gegenüber Mitgeschöpfen widerspiegeln sollten. Gottes schöpferische Freude an allem, was er als „sehr gut“ geschaffen hatte [16], und sein Befehl an Noah, Vertreter jeder Art einzubeziehen, „einfach „um all die verschiedenen Arten auf der ganzen Erde am Leben zu erhalten“ [17] zeigen Gottes Liebe zur Artenvielfalt. Im Angesichts des egoistischen Anthropozentrismus des „modernen Naturschutzes“ und der Tatsache, dass wir Menschen zunehmenden den Lobpreis der unterschiedlichen Geschöpfe zum Schweigen bringen, die ja geschaffen sind um Gottes Herrlichkeit zu verkünden, sollte vielleicht das Engagement für den Erhalt gefährdeter Arten als wahre Probe des biblischen Gehorsams betrachtet werden.

Quellen:

[1] Soulé , M. E. (2013). The “New Conservation”. Conservation Biology 27(5): 895-897. Link to editorial article
[2] http://www.ecomodernism.org/
[3] Soulé, (2013). p. 896
[4] Center for Biological Diversity, The extinction crisis.
[5] Smith, F. D. M., et al. (1993). “How much do we know about the current extinction rate?” Trends in Ecology and Evolution 8(10): 375-378.
[6] Barnosky, A. D., et al. (2011). “Has the Earth’s sixth mass extinction already arrived?” Nature (471): 51-57. Link to review
[7] Wilson, E. O. (2016). Half-Earth: Our planet’s fight for life. New York, London: Liveright. p. 36
[8] Worldwatch Institute: The State of Consumption Today.
[9] WWF: What are the major reasons why we are losing so much biodiversity?
[10] Die Ansicht, dass Menschen die Welt nur nutzen sollten, um ihren eigenen Interessen zu dienen.
[11] Bacon, F. (1966). The Masculine Birth of Time. The Philosophy of Francis Bacon. B. Farrington. Chicago, Chicago University Press.
[12] White Jr., L. (1967). “The Historical Roots of our Ecologic Crisis.” Science 155(3767): 1203-1207.
[13] Pope Francis (2015). Laudato Si‘ – On the Care of our Common Home. Holy See. Vatican City, Libreria Editrice Vaticana. Link to online text
[14] Pope Francis, ibid. para. 42.
[15] Psalm 145:9
[16] Genesis 1:31
[17] Genesis 7:3b

Übersetzt von Naomi Bosch

Kategorien: Fragen Reflexionen
Über Dave Bookless

Dave ist theologischer Direktor von A Rocha International, wo er sich dafür einsetzt, dass die Schöpfungsbewahrung ein Anliegen internationaler christlicher Organisationen, theologischer Institute und Missionsbewegungen wird. Zu seinen früheren Aufgaben bei A Rocha gehören die Tätigkeit als Internationaler Treuhänder und als Mitbegründer von A Rocha UK (zusammen mit seiner Frau Anne). Er promovierte an der Universität Cambridge über biblische Theologie und Biodiversitätsschutz und lieferte Beiträge zu vielen Büchern und Artikeln, darunter Planetwise, das in sechs Sprachen erhältlich ist. Weil er In Indien geboren und aufgewachsen ist, hat Dave eine Vorliebe für indisches Essen, indische Kultur und das indische Christentum. Dave ist außerdem ein qualifizierter Vogelberinger und liebt Vogelbeobachtung, Inseln, das Laufen und die Berge.

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