Lockdown, Genesis und unser Bedürfnis nach Natur
Erinnern Sie sich an die ersten Wochen des Lockdowns, die „große Pause“, als es keinen Straßenverkehr und nur wenig menschlichen Lärm gab? Ich machte einen Spaziergang entlang einer normalerweise stark befahrenen Straße. Ich fühlte mich in die Zeit zurückversetzt, als es noch keine motorisierten Fahrzeuge gab.
Was damals jedem auffiel, war der Vogelgesang. Es gab so viel mehr davon und er war so viel lauter. Die Leute diskutierten, warum das so war: sangen die Vögel tatsächlich lauter? Oder trauten sich mehr von ihnen in unsere Gärten, jetzt wo weniger Menschen da waren? Oder war es nur so, dass wir sie ohne den ganzen menschlichen Lärm besser hören konnten? Kürzlich habe ich gelesen, dass Forschungen ergeben haben, wir würden sie besser hören, obwohl sie sogar leiser sangen. Um sich bei anderen Vögeln Gehör zu verschaffen, brauchten sie nicht so laut zu singen. Und zugleich ermöglichte die Abwesenheit von Verkehrslärm es uns, sie besser zu hören.
Neben aller durch die Isolation und Abriegelung verursachten Nachteile berichteten viele Menschen, dass sie sich der Natur näher fühlten. Menschen ohne eigenen Garten gingen für ihre tägliche Bewegung in den Park und erfreuten sich an Grünflächen und Vogelgezwitscher. Viele stellten fest, dass die Natur tröstlich und heilend ist. Wir wissen das instinktiv, aber der Lockdown hat vielen Menschen ein neues Bewusstsein dafür gegeben. Wir brauchen die anderen Lebewesen, die unsere Welt teilen – nicht nur als Nutztiere oder Nahrungsmittel, sondern weil wir mit ihnen ein Teil eines vollkommenen großen Ganzen sind. Ohne sie können wir nicht sein.
Das sollten wir eigentlich aus dem Buch Genesis gelernt haben. Nachdem Gott Adam aus dem Staub der Erde schuf, pflanzte er einen Garten für Adam, damit er darin leben konnte. Kein Garten in unserem Sinne, sondern ein Waldgebiet mit vielen Obstbäumen, von denen Adam essen konnte. In Genesis heißt es: „…Bäume, die angenehm zu sehen und gut zur Nahrung sind.“ Bäume sind nicht nur dazu da, uns zu ernähren, sondern auch dazu, uns mit ihrer Schönheit zu erfreuen. Gott wollte, dass die Menschen mit den Bäumen leben. Und wir wissen heute, dass wir ohne Bäume, die Kohlendioxid aufnehmen und Lebensraum für eine Vielzahl von Arten bieten, nicht überleben könnten. Bäume sind unsere besten Freunde. Aber seit Jahrhunderten roden wir Wälder, um landwirtschaftliche Flächen zu gewinnen. Wir sind sehr effektiv im Zerstören geworden und holzen den Planeten rigoros im großen Stil ab. Erst sehr spät sind wir aufgewacht, um zu erkennen, wie existenziell wichtig Bäume für uns sind und um mit der Wiederaufforstung zu beginnen. Diese Bemühungen sind jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein angesichts der riesigen Waldbrände, die in Australien, Kalifornien und, ob Sie es glauben oder nicht, in Sibirien wüten.
Dann schuf Gott die Tiere. Diese Geschichte hat zwei Seiten. Einerseits steckt darin die Botschaft, dass Tiere nicht Adams Problem eines fehlenden Gegenübers, eines ebenbürtigen Partners, lösen konnten. Adam brauchte eine Eva. Oder Eva brauchte einen Adam: Es ist keine Geschichte, die das Männliche privilegiert. Man könnte sie auch andersherum erzählen, wenn man wollte: Gott schuf zuerst Eva und es stellt sich heraus, dass sie einen Adam braucht. So oder so: Menschen brauchen andere Menschen.
Aber die andere Seite der Geschichte ist diese: Adam gibt allen Tieren Namen. Einige der Kommentare interpretieren dies als einen Beweis für Adams Herrscherrolle über die Tiere. Aber dafür gibt es keine Beweise. Wenn Wissenschaftler eine unbekannte Spezies entdecken und ihr einen lateinischen Namen geben, behaupten sie nicht, dadurch Herr über sie zu sein. Sie erkennen sie an, indem sie sie in unser wissenschaftliches Weltbild einordnen. Wenn Eltern einem Kind einen Namen geben, geht es nicht um Autorität. Sie erkennen es als eine Person an, die einen Namen braucht, um in der Weltgemeinschaft nicht anonym zu bleiben. Genau so hat Adam, der erste „Taxonom“, dadurch, dass er den Tieren Namen gab, diesen einen entsprechenden Platz in seiner Lebenswirklichkeit zuerkannt.
Ich mag das Bild (von Barbara Jones), auf dem Adam die Tiere nicht dominiert. Er schaut und denkt nach. Wir sollten uns dabei Adam nicht als jemanden vorstellen, der diese Aufgabe mal so ganz schnell über die Bühne bringt. Jedem Tier einen Namen zu geben, das brachte Adam ins Überlegen, welcher Name wohl am besten passen würde. Schließlich ging es darum, seine Nachbarn und Freunde kennenzulernen, all die Lebewesen, die Gott geschaffen hat, um mit ihm in diesen wunderschönen und lebenserhaltenden Wäldern zu leben. Wir können davon ausgehen, dass diese Namensgebung noch eine tiefere Bedeutung hatte: dass Adam ihnen einen dauerhaften Platz wünschte in dieser Welt, wie er sie kannte. Er erwartete sicher nicht, dass seine Mitgeschöpfe irgendwann mal aussterben würden. Wie entsetzt wäre er gewesen, hätte er damals, als er dem ersten Nördlichen Breitmaulnashorn-Paar einen Namen gab, schon vorhergesehen, dass viele von uns vor kurzem auf unseren Fernsehbildschirmen die letzten beiden Nördlichen Breitmaulnashörner, Mutter und Tochter, gesehen haben.
Während des Lockdowns entdeckten wir wieder neu ein Gefühl der Naturverbundenheit– zugleich sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass diese natürliche Welt in einem alarmierenden Tempo verschwindet. Die weltweite Aussterberate von Pflanzen und Tieren ist schwindelerregend hoch. Gewiss – es gibt eine natürliche Rate aussterbender Spezies, die ohne Zutun des Menschen so langsam stattfindet, dass sich gleichzeitig neue Arten entwickeln können. Was wir aber momentan erleben, ist ein Verlust an Biodiversität, der 100-mal schneller geschieht und sich weiterhin beschleunigt. Naturschützer verwenden im englischsprachigen Raum ein Akronym, um die fünf schwerwiegendsten Ursachen des Menschen gemachten Massenaussterbens auf eine einfache Formel zu bringen:
H für „Habitat destruction“ die Zerstörung von Lebensräumen, der Klimawandel eingeschlossen
I für “ Invasive species“ also die invasiven Arten
P für „Pollution“, d. h. die Verschmutzung
P für „Population expansion“, also die Bevölkerungsexpansion
O für „Overconsumption, die Plünderung der natürlichen Ressourcen für die industrielle Produktion von Konsumgütern, einschließlich der Überfischung [*]
Fünf Punkte, wie wir Menschen Gottes Schöpfung zerstören, wobei die gravierendste davon die Zerstörung des natürlichen Lebensraums ist. Eine Million der acht Millionen Arten gelten momentan als vom Aussterben bedroht.
Wir können natürlich andere dafür verantwortlich machen. Wir können sagen, die neue wohlhabende Mittelschicht Asiens ist schuld, weil sie illegalen Wildtierhandel und betreibt und dadurch so seltene Tiere wie das Pangolin bedroht sind. Wie könnte jemand nicht wollen, dass diese niedlichen Schuppentiere überleben? Wir können Menschen beschuldigen, die in der Abholzung der Regenwälder eine schnelle und einfache Möglichkeit sehen, Geld zu verdienen. Wir können eine Menge anderer Leute beschuldigen – und sie verdienen es, beschuldigt zu werden. Aber ist dies nicht ein System, an dem wir alle beteiligt sind? Wie können wir es schaffen, dieses System zu durchbrechen?
Wir alle können kleine Schritte unternehmen, und wir alle müssen darüber nachdenken, wie solche Schritte aussehen könnten. Vielleicht haben wir bereits einiges unternommen. Es ist an der Zeit zu überlegen, was wir noch tun können. Genesis 2 lehrt uns, dass wir nicht dazu bestimmt sind, die Erde zu zerstören, was wir aber leider tun. Wir waren dazu bestimmt, Partner der Bäume zu sein. Wir sollten anderen Lebewesen Anerkennung und Raum geben.
[*] Und ich möchte ausdrücklich klarstellen, dass „HIPPO“S in keiner Weise für diese Auswirkungen verantwortlich sind.
Überseztung: Lieselotte Horsch