12. April 2022 | Dan Nolloth | 0 Kommentare

Die Kosten einkalkulieren: Die emotionale Belastung durch Umweltschutzkampagen

Firefighting at Fingal, Tasmania in 2020

„Nun, ich musste zu einem Psychotherapeuten gehen. Und als Wissenschaftler ist man wirklich nicht darauf trainiert, mit Gefühlen umzugehen.“ Dies ist das zweite Mal, dass Dr. Stuart Blanch während unseres Telefonats in Tränen ausbricht. Obwohl uns Tausende von Kilometern trennen, kann ich seinen Schmerz so deutlich spüren, als säße er neben mir. „Als Biologe gehe ich mit nüchternen Fakten um. Wir Wissenschaftler schreiben leidenschaftslos in der dritten Person. Als ich anfing, in der Umweltbewegung zu arbeiten, warfen mir viele meiner früheren Kollegen vor, ich wäre zu emotional. Das tat weh.“ 

Stuart hat eine beeindruckende Karriere hinter sich. Er wuchs an der Küste von New South Wales auf, wo seine Eltern eine Bananenfarm betrieben. Heute arbeitet der Leiter von A Rocha Australia für den australischen World Wildlife Fund im Bereich der Waldschutz. Seine Arbeit als Umweltaktivist hat ihn persönlich sehr mitgenommen. Seit 30 Jahren ist er nun schon im Naturschutz tätig. Trotz vieler Erfolge wurde ihm allmählich klar, dass die Ergebnisse seines jahrelangen intensiven Einsatzes durch die Auswirkungen der globalen Erwärmung akut gefährdet sind.

Die Waldbrände, die in 2019 und 2020 in Australien wüteten, haben ihm das besonders vor Augen geführt. Er beschreibt, wie Tiere in seinen Garten eindrangen, um sich in Sicherheit zu bringen. „19 Millionen Hektar wurden verbrannt: das gab es noch nie. Es war ein Mega-Feuer, das monatelang brannte. Diese Brände waren nicht weit von mir entfernt: Wir konnten sie sehen und riechen, wir waren alle mit Staub und Rauch bedeckt.“

Kurz darauf brach Stuart in einer Live-Sendung des südafrikanischen Fernsehens plötzlich zusammen, als er immer wieder das Ausmaß des Schadens aussprach: die Zahl der im Feuer umgekommenen Tiere, die Menge des durch die Brände freigesetzten Kohlenstoffs. „Das hat mir so zugesetzt, dass ich kollabierte.“

Stuart weiß aus eigener Erfahrung, welchen Tribut die Arbeit für Klimagerechtigkeit unserer psychischen Gesundheit abverlangt: Mitte der 2010er Jahre war er an einer Kampagne zum Schutz von „Arnhem Land“ beteiligt. Es ist nach wie vor eines der größten Gebiete im Besitz der Ureinwohner des Landes. Sie leben dort seit Zehntausenden von Jahren. Dann fand man dort große Öl- und Gasvorkommen. Energiekonzerne missbrauchten daraufhin eine Gesetzeslücke, die es ihnen ermöglichte, das für die Ureinwohner überlebenswichtige Fischfanggebiet für die Öl-und Gasgewinnung zu erschließen.

Stuart reiste daraufhin mit einer Gruppe von Ureinwohnern nach Sydney und Canberra. Die meisten von ihnen waren noch nie außerhalb ihres Territoriums – geschweige denn in große Städte gereist. Aber das hielt sie nicht ab. „Wir klopften bei den Behörden im Geschäftszentrum von Sydney an die Türen mit der Botschaft: ‚Ihr könnt nicht einfach unser Land zerstören, ohne mit uns zu sprechen!‘ Diese Juristen dort waren nicht daran gewöhnt, dass ihnen wütende Indigene ins Gesicht sagten: ‚Runter von unserem Land! Ihr habt keine Zustimmung eingeholt!‘ Die Ureinwohner gewannen diesen Rechtsstreit. Das war das absolute Highlight meiner Arbeit, wobei ich betonen möchte: diesen Sieg haben die Ureinwohner errungen, nicht ich. Und ich fand es skandalös, dass unser Protest überhaupt nötig war. In einem Rechtsstaat sollten die Gesetze dafür sorgen, dass so etwas erst gar nicht passieren kann.“

Der Erfolg der Kampagne war jedoch bittersüß. Stuart erinnert sich an eine Frau, die sich leidenschaftlich für den Schutz des Landes einsetzte. „Diese junge Lehrerin wollte die neue Generation dazu heranbilden, für das Land zu kämpfen und ‚Arnhem Land‘ zu schützen.“ Doch dann nahm sich sie sich das Leben.

„In diese Frau wurden viele Erwartungen gesetzt, aber sie hielt die psychische Belastung nicht aus. Die Menschen brauchten sie, um sich für die Gemeinschaft einzusetzen, das hat sie sehr gut gemacht, aber der Preis, den sie dafür gezahlt hat, war hoch. Aber ich befürchte, dass diese smarten Juristen und Bürokraten, die diese Gesetze geschrieben haben, überhaupt nicht verstanden haben, welchen Tribut uns Umweltschützern unser Einsatz für Gerechtigkeit abverlangt.“

Während Stuart spricht, wird mir klar, welchen enorm hohen Preis Umweltaktivisten bei ihrem Engagement für die Bewahrung des Planeten bezahlen. Es wäre bequemer, sich nicht einzusetzen. Aber Stuart erinnert mich daran, dass viele Menschen überhaupt keine Wahl haben. „Die Entscheidungen, die wir in Australien trafen, helfen jetzt auch benachteiligten Menschen in anderen Ländern. Und Jesus hat ja gesagt ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘. Ich möchte schließlich auch nicht, dass mein Haus durch Überschwemmungen zerstört wird. Unser Lebensstil ist aber Schuld daran, dass dies unsere Mitmenschen erleiden müssen.“

Wie können wir diesen Einsatz auf lange Sicht aufrechterhalten? „Mein Glaube an einen Schöpfer, der uns nach seinem Ebenbild erschaffen hat, sich uns in der Schöpfung offenbart und in die Schöpfung eingreift, gibt mir die Kraft, weiterzumachen.“ Stuart schöpft daraus Mut, dass die biblische Botschaft genau dies immer wieder bezeugt. „Abraham, Isaak und Jakob, das Volk Israel, die Könige und die Propheten, sie alle wiesen auf Jesus hin. Sein Tod am Kreuz gibt mir eine Hoffnung, die mir niemand nehmen kann. Ich versuche, mich an dieser guten Nachricht festzuhalten, mich daran zu erinnern, anstatt durch die vielen Hiobsbotschaften in den Medien entmutigt zu werden – der Tod und die Auferstehung von Jesus Christus – das kann mir keiner nehmen.“

Stuart Blanch ist  Mitbegründer und Präsident von A Rocha Australia.

Der Podcast Field Notes, moderiert von Peter Harris und Bryony Loveless, ist eine Erkundung der Ideen, Praktiken und Erfahrungen, die vor Ort einen Unterschied machen. Sie sprechen mit Menschen, die wirklich wissen, wovon sie reden – von Naturschützenden, Forschenden und Biolog*innen bis hin zu Künstschaffenden, Unternehmer*innen und Theolog*innen. Sie haben hoffnungsvolle Geschichten zu erzählen. Das vollständige Interview mit Stuart können Sie im Field Notes Podcast unter arocha.org/en/field-notes-podcast/ anhören.

Übersetzt von Lilo Horsch

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