Die Bibel, Biodiversität und Gottes Prioritäten
Viele Kirchen und christliche Organisationen engagieren sich für die Bekämpfung des Klimawandels wegen dessen Auswirkungen auf die ärmsten Gesellschaften der Welt: Dabei geht es um Gerechtigkeit. Dennoch stehen wir vor einer zweiten ökologischen Krise, die möglicherweise genauso schwerwiegend ist, aber von Christen viel weniger Aufmerksamkeit bekommt: der Verlust der Biodiversität (=biologischen Vielfalt). Dem Living Planet Report 2018 zufolge ist der weltweite Bestand an wildlebenden Tieren seit 1970 um 60% zurückgegangen. Warum sollten sich Christen darum kümmern? Die Bibel hat sehr viel über die Beziehung der Menschheit zu Gott und zu unserem Nächsten zu sagen, aber macht sie auch relevante Aussagen über die Biodiversität?
Biodiversität ist ein Wort, das Sie in der Bibel nicht finden werden, aber das Konzept ist zutiefst biblisch. In 1. Mose 1,31 schaut Gott auf alles, was er gemacht hat, und beurteilt es als sehr gut. „Alles” bedeutet hier die Vielfalt des Lebens und der Systeme, die es erhalten, was wir heute Biodiversität nennen. Wenn wir uns die großen Themen der Bibel anschauen, wird das Muster klar: Gott hat eine Leidenschaft für die Biodiversität, die die Bibel von Anfang bis zum Ende durchzieht.
1. Die Schöpfung
Hier fängt alles an. Gott, der eine liebende Gemeinschaft hat – Vater, Sohn und Heiliger Geist – beschließt, eine untereinander abhängige und unendlich vielfältige Welt zu erschaffen, die von Vielfalt, Schönheit, Komplexität und Kunstfertigkeit überquillt. Gottes Freude an der Schöpfung zeigt sich im ersten Buch Mose, in den Psalmen, der Weisheitsliteratur und in der Art und Weise, wie die Propheten und Jesus selbst die Natur ständig heranziehen, um Wahrheiten über Gott und das Leben zu veranschaulichen. Die Biodiversität wurde nicht geschaffen, damit sich die Menschheit daran erfreue, sondern vor allem von und für Christus (Kolosser 1).
2. Der Bund
In dem Moment wo die Entfremdung des Menschen von Gott einen Bruch verursacht, der sich auf die ganze Erde auswirkt, bietet Gott uns im ersten großen biblischen Bund mit Noah einen neuen Anfang an. Die Rettung von Geschöpfen jeder Art auf der Arche – einschließlich der unreinen, ungenießbaren und gefährlichen Geschöpfe – ist eine große Bestätigung von Gottes Leidenschaft für die Biodiversität. Sie sind weder um Noahs willen da, noch weil sie für uns von Nutzen sind, sondern „damit ihre Art auf der Erde fortbestehen kann”. Gott stellt eine rettende Bundesbeziehung her, die „jedes lebende Geschöpf auf der Erde” einschließt.
3. Christus
Die Inkarnation, das Leben, der Tod und die Auferstehung Jesu vermitteln ein einzigartig christliches Verständnis für den Wert der Biodiversität. „Das Wort wurde Fleisch” betont bewusst, dass der Schöpfer ein Geschöpf wurde – und damit nicht nur den Wert der menschlichen Natur, sondern aller Geschöpfe erhöht. Fast alle Illustrationen Jesu beziehen sich auf die natürliche Welt – Landwirtschaft und Jahreszeiten, Vögel und Blumen, Feigenbäume und Füchse. Und in Christi Tod und Auferstehung sehen wir die ganze Tragweite von Gottes Absichten für die Biodiversität. In Kolosser 1,20 konstatiert, dass der Tod Christi am Kreuz es ermöglicht, „alle Dinge im Himmel und auf der Erde” mit Gott zu versöhnen.
4. Erfüllung
Die Verheißung, die mit dem Tod und der Auferstehung Christi einhergeht, erfüllt sich, wenn Jesus wiederkommt. Die biblischen Propheten, mit ihren Visionen des Shalom-Friedens, weisen auf die Biodiversität als Teil von Gottes ewigem Plan hin: der Löwe und das Lamm, die Schlange und das Kind, die vier vor dem Thron anbetenden Lebewesen (welche die Menschheit, die wilden Tiere, die Haustiere und die Vögel zu repräsentieren scheinen). Es gibt auch Passagen des Gerichts und der Zerstörung, so dass es sowohl eine Diskontinuität als auch eine Kontinuität zwischen dieser Welt und der neuen Schöpfung geben wird. Wir können die Biodiversität nicht allein durch unsere eigenen Anstrengungen retten – dies ist Gottes Werk und wird eine radikale Neugestaltung der gesamten Schöpfungsordnung erfordern. Doch alles, was Gott in Freude geschaffen hat und in Liebe erhält, wird er durch Gnade retten.
5. Gemeinde [Kirche]
Schließlich: Welchen Platz hat die Gemeinde in Gottes Plan für die Biodiversität? Die Bibel ist diesbezüglich nicht sehr explizit; vielleicht haben wir deshalb erst allmählich erkannt, dass dies Teil unserer Berufung ist. Doch wenn wir Gottes Absichten ernst nehmen, müssen wir unsere Aufgabe auch darin suchen. Wenn Christus die Biodiversität erlösen und retten soll, lehnen wir uns dann einfach zurück und warten ab? Nein! Als Jünger Jesu sind wir dazu aufgerufen, mit seiner Wertschätzung zu leben und die neue Wirklichkeit, die er uns bringt, in unserem Leben schon umzusetzen. Erstaunlicherweise behauptet Römer 8: „die ganze Schöpfung wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden”. Wer sind die Kinder Gottes? Es ist die Gemeinde – der Leib Christi hier auf Erden – dazu berufen, seine Hände und Füße, sein Herz und seine Stimme zu sein. Ja, um die gute Nachricht von Jesus den verlorenen Seelen zu bringen, um Christus in den Armen und Gefangenen zu sehen, aber auch, den Geschöpfen zu helfen, Gott so zu verherrlichen, wie er es beabsichtigte.
Der Schutz der Biodiversität ist eine unausweichliche Folge der Aussage: „Jesus ist der Herr!”
Übersetzung: Jan Decher