Mangroventheologie: lasse dich nieder und bilde tiefe Wurzeln
Als ich Jugendlicher war, hat die Church Mission Society (CSM) einen Newsletter für junge Erwachsene rausgebracht, welchen ich eifrig las. Die Überschrift eines solchen Artikels ist mir seit dieser Zeit klar im Gedächtnis geblieben: „Hat Gott dich dazu berufen, dort zu bleiben, wo du bist?“
Zu dieser Zeit lebte meine Familie in einem ruhigen Dorf in Großbritannien, mit einer etwas verschlafenen Kirche. Deshalb erschien mir der Gedanke, dass Mission bedeute, die Welt zu bereisen und aufregende, exotische Orte zu besuchen, sehr attraktiv. In meinen 30ern hatte ich dann schon an über 20 Orten gelebt, viele Länder besucht, und Gott schien mir etwas ganz anderes zu sagen.
Ich erkannte, dass meine übertriebene Mobilität – Missionarskindheit, Internatbesuch, Studium, Reisen, Jobsuche – mich ohne Wurzeln, heimatlos gemacht hatte. Ich beobachtete, dass der Ruf „Geh!“ von Gott kommen kann, manchmal aber auch als Vorwand genutzt werden kann, um vor Verantwortung zu fliehen oder Abenteuer zu suchen und die Berufung zu vermeiden, tiefe Wurzeln zu schlagen und fruchtbar sein, wo Gott uns pflanzt.
Der Bibeltext, durch den Gott mich ansprach, war Jeremia 29. Der Kontext dazu ist, dass sich Gottes Volk im Exil in Babylon befindet, einem Ort, den sie hassten und dem sie am liebsten entflohen wären. Für Israel war Babylon ein gottverlassenes, feindliches Territorium und sie fragten: „Wie sollten wir des HERRN Lied singen auf fremdem Boden?“ (Psalm 137,4). Gottes Anwort muss sie geschockt und durcheinander gebracht haben. Anstatt zu sagen, „Keine Sorge, ich bring euch bald nach Hause“ oder „Eure Heimat ist im Himmel, kümmert euch nicht um euer Umfeld“, wies Gott sie an, Gärten anzulegen, Kinder zu bekommen, für das Wohl und den Frieden der Städte, in die er sie verbannt hatte, zu sorgen, und für diese zu beten.
Gott beruft seine Menschen, tiefe ökologische, soziale, wirtschaftliche und geistliche Wurzeln zu schlagen wo auch immer er sie hinbringt. Wenn wir nur darauf warten, dass Gott „Geh!“ zu uns sagt, könnten wir dabei unsere Gärten und Grundstücke, unsere Nachbarschaftsbeziehungen und unser gesellschaftliches und politisches Mitwirken vernachlässigen. Doch Jeremia lässt uns keine solche Option.
Gottes Gute Nachricht gilt der gesamten Schöpfung
[tweet_box design=“default“ float=“none“]Für unsere heutige Zeit ist Jeremia 29:4–7 ein Manifest für Christen, sich auf lokaler Eben zu engagieren.[/tweet_box]
In Jeremia 29:4-7 richtet sich Gott heute an die mobilste Generation der gesamten Menschheitsgeschichte, in der hunderte Millionen von Menschen durch Klimawandel, Krieg und wirtschaftliche Nöte aus ihrer Heimat vertrieben sind, während andere durch die Weltgeschichte reisen für Wochenendtrips und Kreuzfahrten. Zygmunt Bauman nannte diese Generation eine Generation von „Vagabunden“ und „Touristen“. Jeremia 29 ist die Definition von „ganzheitlicher Misson“, von Gottes Auftrag für seine Kinder, das Evangelium nicht nur auf das Seelenretten zu begrenzen, sondern es als Gottes Gute Nachricht für alle Menschen und alle Schöpfung zu sehen. Diese Vison wird im alten Testsament mit dem Wort „Shalom“ resümiert – Frieden mit Gott, sich selbst, seinen Mitmenschen und der Schöpfung. Im neuen Testament wird dies als „Königreich Gottes“ bezeichnet – Jesu Herrschaft über jeden Bereich des Lebens, der Gesellschaft, der Kultur und der Natur.
Jeremia 29 beschreibt „nachhaltige Entwicklung“ über 2600 Jahre vor den Zielen für Nachhaltige Entwicklung der UN. Zusätzlich zu den drei herkömmlichen Säulen der Nachhaltigkeit (ökologisch – Gärten anlegen; sozial – Familien gründen; ökonomisch – Friede und Wohlstand der Städte) erinnert uns Gott daran, dass wir die geistliche Dimension niemals außer Acht lassen sollten (für die Städte beten).
Wir können uns mit sekulären oder nicht-christlichen Organisationen zusammentun, um Armut und ökologische Probleme anzugehen, doch unsere Vision ist es, dass Gottes Herrlichkeit sich über die gesamte Erde erstreckt und dass jedes Lebewesen sich in Anbetung vor Gott niederwirft.
Während ich über Jeremia 29 gebetet und nachgedacht habe, hat sich meine Beziehung zu meinem Wohnort komplett verändert. Wir haben angefangen, unsere eigenen Lebensmittel anzubauen und uns mit anderen Menschen in Gemeinschaftsgärten zusammen zu tun. Ich habe dabei geholfen, eine lokale Aktionsgruppe aufzubauen, die sich mit praktischen Angelegenheiten wie gemeinschaftlichen Obstplantagen, Kampagnen zu Plastikreduzierung und Radfahren in unserer Stadt beschäftigt. Unsere lokalen Kirchen sind aktiv im Kampf gegen Obdachlosigkeit und Verschuldung, in der Essensausgabe und der Überwachung unserer Kommunalpolitiker. Das schlagende Herz dahinter ist natürlich eine anbetende, zeugnisgebende christliche Gemeinschaft, die wöchentlich betet, dass sich Gottes Königreich in ihrem unmittelbaren Umfeld, sowie auf der gesamten Erde ausbreitet.
Gott beruft natürlich Menschen zu gehen, ihre Komfortzone zu verlassen und ihm ins Unbekannte zu folgen. Aber als ich die Bibel genauer las, stellte ich fest, dass Gottes Ruf normalerweise bedeutet zu gehen, an einem neuen Ort tiefe Wurzeln zu schlagen, und nicht in der Wildnis umherzuirren. Wir sind gerufen worden, fruchtbar zu sein, nicht parisitär, und ohne Wurzeln kann meine keine Frucht bringen.
Ein Baum ohne Wurzeln
Ein sikhitischer Freund sagte mir einmal: „Ein Baum ohne Wurzeln beschädigt alles um sich herum. Genauso ist es mit eine Kind.“ Auf meinen Reisen ist für mich der Mangrovenbaum ein immer wiederkehrendes Bild für Christen.
Mangroven wachsen in den Tropen an der Grenze zwischen süßem und salzigem Wasser (Kirche und Welt?). Ihr tiefes, verflochtenes Wurzelwerk macht sie zu einem ausgezeichnete Stoßdämpfer gegen Stürme. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den Gebieten, die am stärksten vom Tsunami im Jahr 2004 betroffen waren, und den Gebieten, in denen Mangroven entfernt wurden.
Unsere heutigen Stürme sind ökologisch, ökonomisch und politisch. Diejenigen, die tief verwurzelt sind, können den chaosbringenden Kräften trotzen und Zuflucht und Hoffnung bieten. Mangrovenwälder sind außerdem lebensspendende Orte in denen Fische, Vögel, Krebse und viele verschiedene Arten gedeihen und wachsen können. Was für ein wunderschönes Bild für Kirchen und christliche Häuser.
Frage dich auf jeden Fall: „Hat Gott mich berufen, zu bleiben, wo ich bin?“ Doch während du wartest, und auch falls du doch woanders hingehst, lasse dich nieder. Pflanze etwas und versorge es. Bau mit an der Zukunft, selbst wenn du keine Resultate siehst. Investiere in bleibenden Frieden und Wohlstand – das Wohl, dass daraus resultiert, dass Beziehungen in jeder Dimension erneuert werden.
[tweet_dis]Wenn du Frucht bringen möchtest, schau nach deinen Wurzeln.[/tweet_dis]
Übersetzung: Naomi Bosch