30. Oktober 2022 | Liz Marsh | 0 Kommentare

Ist ein verzweifelter Christ ein Oxymoron? Einige Lektionen von Elia

von Liz Marsh

Ist ein verzweifelter Christ ein Oxymoron? Ich habe in letzter Zeit viel über diese Frage nachgedacht. Sie stellte sich mir – nicht zum ersten Mal, aber sicherlich mit neuer Dringlichkeit – im Anschluss an die COP26 im November 2021. Ich hatte einen Großteil des Jahres damit verbracht, mich für die Kampagne von Young Christian Climate Network für Fragen der Klimagerechtigkeit und der Klimafinanzierung einzusetzen, und viele von uns waren bitter enttäuscht über das Ergebnis der Konferenz, und hatten das Gefühl, dass es nicht das lieferte, was notwendig gewesen wäre, um die Erde zu schützen oder das Leben und den Lebensunterhalt in einigen der am meisten gefährdeten Gemeinschaften der Welt zu sichern. Ich weiß, dass viele Andere, die sich für den Klimaschutz engagieren, meine Gefühle teilten: Nach all den Anstrengungen, die wir unternommen hatten, fragte man sich leicht, ob unsere Arbeit umsonst gewesen war.
Ganz allgemein scheint die Verzweiflung in diesen Tagen ein allzu vertrauter Begleiter zu sein, wo der Krieg in der Ukraine wütet, die Covid-Pandemie andauert und wir die Auswirkungen der ökologischen Krise sehen, die die Lebensgemeinschaften zerstört. Wer würde sich angesichts all dessen nicht überwältigt oder verzweifelt fühlen?


Ich spüre diesen Drang zur Verzweiflung, aber – besonders als jemand, die sich derzeit mit ökologischer Hoffnung beschäftigt – frage ich mich auch, ob es eine andere Möglichkeit gibt. Was bedeutet es, in unruhigen Zeiten gut zu leben? Gibt es eine Möglichkeit, Hoffnung und Verzweiflung zusammen zu halten?


Das erinnert mich an die Geschichte von Elia, dessen Erfahrung tiefer Verzweiflung in 1. Könige 19 erzählt wird. Angesichts der Niederlage flieht Elia vor Ahab und Isebel in die Wüste, legt sich unter einen Baum und fleht Gott an, sein Leben zu  nehmen. Ich habe genug“, sagt er, „nimm mein Leben; ich bin nicht besser als meine Vorfahren“. Es ist offensichtlich, dass er überwältigt und erschöpft ist. Er glaubt nicht, dass er weitermachen kann, sieht keinen Ausweg mehr. Aber – vielleicht zu Elia’s Enttäuschung – lässt Gott ihn nicht sterben. Stattdessen schickt Gott einen Engel zu ihm, und die Engel geben ihm die Nahrung und Ermutigung, die ihm schließlich die Kraft gibt, weiterzumachen. Auch danach ringt Elia weiter mit dem Ausmaß der Situation, in der er sich befindet. Als der Engel ihn verlässt, findet er die Kraft, vierzig Tage und Nächte weiterzureisen und sich schließlich in einer Höhle am Horeb auszuruhen, wo er von Gott besucht wird. Erneut wendet sich Elia an Gott und beklagt sich, dass er völlig allein ist, dass seine Prophetenkollegen getötet wurden und er nicht weiß, was er tun soll. Und wieder zeigt Gott ihm, wie er weitermachen kann.

Vielleicht können sich diejenigen von uns, die verzweifelt sind, mit Elia identifizieren.
Wenn wir von überwältigendem Leid umgeben sind, wenn wir das Gefühl haben, dass nichts was wir tun können, viel bewirkt, dann fühlt es sich manchmal als bliebe uns nichts anderes übrig, als wegzulaufen.
Verzweiflung ist keine Schande, und Trauer ist nicht unchristlich. Für viele von uns ist Verzweiflung eine Folge der Begegnung mit der Tiefe des Leidens und des Kampfes, den es auf dieser Erde gibt. Die andere Seite der Verzweiflung wäre eine naive Ignoranz gegenüber der Schwere dessen, was wir erleben. Meines Erachtens birgt diese letztere Haltung eine viel größere Gefahr, nicht zuletzt deshalb, weil
Ignoranz einfach kein Luxus ist, den sich alle Menschen gleichermaßen leisten können, sie ist für Menschen, die aufgrund ihrer Erfahrungen, ihres Lebensorts und ihrer Identität besonders gefährdet sind, einfach nicht möglich.


Doch ebenso wie die Naivität der Ignoranz gefährlich ist, so birgt auch das Verharren in der Verzweiflung eine Gefahr in sich, denn es ist eine Möglichkeit des Ausweichens. Wenn man zu lange in der Lähmung der Verzweiflung über den Zustand der Welt verharrt, kann man vermeiden sich den Problemen dieser Welt wirklich zu stellen, selbst wenn man ihnen direkt begegnet. Diese Art des Vermeidens läuft Gefahr zur Akzeptanz des Status quo zu werden, wobei wir den Zustand der Welt beklagen, aber gleichzeitig jede Möglichkeit einer sinnvollen Veränderung vorschnell abtun.


Es fällt auf, und ist meiner Meinung nach bezeichnend, dass Gott Elias Verzweiflung nicht dadurch begegnet, dass er ihn bestraft oder seinen Schmerz verringert, sondern indem er ihn ermutigt und ihm zeigt, dass nicht alles verloren ist. Entscheidend ist, dass Elia bei all dem nicht allein ist. In der Tiefe seiner Verzweiflung fühlt er sich völlig isoliert, aber am Ende von Kapitel 19 sehen wir, wie Gott ihm siebentausend Israeliten verspricht und Elisa zur Hilfe ruft. Wo unsere eigene Verzweiflung uns dazu verleiten könnte, uns nicht nur von der Welt, sondern auch von einander zurückzuziehen, ist dies eine wichtige Mahnung, die Gemeinschaft zu suchen, denn gemeinsam können wir viel mehr erreichen als getrennt voneinander. Wenn wir uns der Lähmung der Verzweiflung verweigern, selbst inmitten des Leids, und in Solidarität zusammen kommen, öffnen wir uns wieder für die Möglichkeit einer besseren Welt.


Sicherlich ist dies nicht einfach. Wir müssen uns Zeit nehmen, um zu lernen, wie wir uns selbst und einander Halt geben können. Wir können uns Raum für Trauer und Ruhe gönnen, damit wir weitermachen können. Es ist viel Arbeit nötig, um konkret darüber nachzudenken, welche Art von Veränderungen wir wollen und wie wir sie herbeiführen können. Aber, indem wir uns weigern aufzugeben und uns die
Möglichkeit der Hoffnung zuzugestehen scheint ein guter Anfang zu sein.
Übersetzung: Jan Decher

Kategorien: Reflexionen
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